Ethnopsychoanalytische Begleitung


Trendthema „Soziale Innovation“ in der Behindertenarbeit - eine „Ethnopsychoanalytische Begleitung“


„Soziale Innovation“ geht nicht ohne „Soziale Interaktion“
und „Haltung.“

Wie sieht das Miteinander, die Beziehungen und die Kommunikation innerhalb des Unternehmens mit anderen Menschen, MitarbeiterInnen, Personen mit Beeinträchtigungen, nennen wir sie hier NutzerInnen, Geldgeber, Gesetzgeber, die Gesellschaft allgemein aus? Es pendelt zwischen „die müssen toleranter, inklusiver, großzügiger, vernünftiger, weiter, besser sein, …“ und „die sind noch nicht so weit, brauchen noch was, sind benachteiligt, diskriminiert, ausgeschlossen, einsam, …“. Das sind alles unterlegene Positionen, des nicht „Passens“ und „noch nicht Seins“ (Opfer) gegenüber mächtigen Positionen des „Wissens, Könnens und Schaffens“ (RetterIn oder VerfolgerIn). Opfer, Verfolger und Retter sind Rollen eines nie enden wollenden Dramas, es sei denn, die Rollen werden nicht mehr eingenommen.

 

„Soziale Innovation“ ist naiv und kritisch.

Aus der Position der Beobachtung erfolgt oftmals eine Bewertung und Trennung in sozial oder asozial, gut oder schlecht, richtig oder falsch, anerkennen oder missachten, tun oder lassen, einladen oder abgrenzen, konservativ oder innovativ. Vielleicht geht es vielmehr um ein mutiges Verbinden von niemals Gedachtem oder Unmöglich-Geglaubtem als neue Kultur? Zum Beispiel Menschen mit Beeinträchtigungen im Management, in der Buchhaltung, in der Werbung, in der Unternehmenskommunikation, im Verkauf, in Industrie, Kunst, Kultur oder bei Verhandlungen um Geld und Gesetz?

 

„Soziale Innovation“ dreht sich im Kreis, wiederholt sich, hört nie auf und bleibt doch gleich.

Eine Trennung zwischen „die“ und „wir“, wobei unklar und unausgesprochen ist, wer „wir“ und „die“ sind, lädt auch dazu ein, sich mit einem kompetenten und mächtigen, verbündeten „Wir“ zu identifizieren, das die Welt/die anderen verändern möchte. Das bringt das unbewusste und magische Denken, Handeln und Allmachts-Phantasien all jener zum Ausdruck, die daran glauben, „dass irgendwann mal – mit der richtigen und sozialen innovativen Idee – alles gut wird“, bzw. man selbst „alles“, „etwas“ oder „andere“ gut/besser/anders machen kann. Beobachtet man die Geschichte, dann war das ja schon immer so. Neue Vereine, neue Betriebe neue Geschäftsführungen, neue Methoden, neue Begriffe, neue Gesetze, neue Ressourcen, neue Ideen woll(t)en Veränderung. Dennoch blieb/bleibt Vieles gleich: Menschen, Beeinträchtigungen, Diskriminierung, Grenzen, Unverändertes… es wurde/wird also doch nicht „alles gut“ oder perfekt. Der tiefe Wunsch nach „Erlösung“ bleibt unerfüllt.  

 

„Soziale Innovation“ hat mehr Fragen als Antworten.

Die Frage „was will wer?“ lässt sich unterschiedlich beantworten: Die Gesellschaft will Entlastung in Bezug auf Pflichten, Zahlungen, Einschränkungen und Verantwortlichkeiten – auch in Bezug auf Menschen mit Beeinträchtigungen. MitarbeiterInnen der Behindertenhilfe wollen einen sicheren Arbeitsplatz und Einkommen. Behindertenorganisationen entsprechen gesetzlichen Anforderungen, für finanzielle Anerkennung und Prestige. Menschen mit Beeinträchtigungen wollen Gleichstellung, Teilhabe und Möglichkeiten. Ob das wirklich so ist, weiß man erst, wenn man die Menschen gefragt und aktiv beteiligt hat.

 

„Soziale Innovation“ hält das „Unpassende“ und „Unperfekte“ schwer aus.

Begriffe wie „Selbst-Ermächtigung“, „Selbst-Wirksamkeit“ und sind in aller Munde. Aus „Yes, we can!“ wird zunehmend ein „Yes, we have to!“ Es grenzt an Missbrauch den Wunsch nach ständiger Selbst-Optimierung – also persönliche Innovation – als „Soziale Innovation“ auf Behindertenarbeit, Menschen mit Beeinträchtigungen und andere Menschen zu projizieren. Dabei geht es um die Bereitschaft, Akzeptanz und Integration – ja Inklusion – des „Anderen“ und dessen (Aus-)Wirkungs-Weise als wichtige Entwicklungsmöglichkeit und Potenzialentfaltung für einen selbst, für Unternehmen, für die Welt und das Leben an-zu-erkennen. Wenn wir das „Perfekte“ oder „Innovative“ suchen, werten wir vieles andere ab, verletzen, erschweren dadurch Verbindungen und Soziales. Wir er-schaffen somit wiederum Abhängigkeiten, Beeinträchtigungen, Enge und unfreies Leben.

 

„Soziale Innovation“ ist „Soziale Anpassung“ ans Lebendige.

Irgendwann „passt“ die „positive Diskriminierung“ durch noch mehr Forderungen, Gelder und Rechte für den Behindertenbereich nicht mehr zu denen für die restliche Gesellschaft. Solche unpassenden Relationen können Unzufriedenheit, Neid, Enttäuschung oder Wut bei den Menschen, Geld- und GesetzgeberInnen erzeugen und eine ursprünglich subtile Angst, irgendwann keine Gelder für die Behindertenhilfe zu erhalten, durch eine Art „self-fullfilling-prophecy“ bestätigen. Das Macht- und Wirtschaftsspiel (ständig etwas Neues, Besseres, Perfekteres zu liefern) wird immer auf Kosten von Menschen und ihr Leben ausgetragen.

Es ist Fakt und real: Leben IST Veränderung, Leben IST Innovation und ständige Anpassung an gewisse Standards des Lebens und wissenschaftlichen Fortschritt.

Jede/r WILL selbst sein DÜRFEN, den eigenen Interessen und Begabungen entsprechend KÖNNEN, tun, etwas bewirken und damit ein Wert-volles und Glück-liches Leben haben. Inwiefern dies möglich ist, wenn man – wie in der Werbung - immer besser(es) und anders(es) haben, tun und sein MUSS, wage ich zu bezweifeln.

 

Autorin: Dr.in Christine Harnik, MEd, Mai 2020

 

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